Meine Zeilen entstehen am Meer in Zypern. Ich habe es mir bequem gemacht auf einem Liegestuhl im Schatten. Ich höre das Plätschern des Pools. Es wird manchmal übertönt von den Wellen des Meeres, die an den Strand schlagen. Der Wind raschelt in den Palmenblättern. Ich höre die Mitarbeiter, die sich gegenseitig zurufen in ihrer Muttersprache. Liegestuhlnachbarn erzählen sich in Schweizerdeutsch. Das Telefon plärrt in der Ferne.
Ich bin mitten im Leben und scheibe über das Trauern. Wer trauert, vermisst einen Menschen, ist traurig, weint, erinnert sich. Man trauert um das, was war, hat schöne Erinnerungen. Man trauert aber auch um das, was nicht war und nicht sein durfte.
Ich bin traurig, weil ein enger Verwandter gestorben ist. Ich vermisse ihn. Als ich Teenager war feierten wir gemeinsamen meinen Tanzabschlussball. Er konnte toll tanzen, wunderbar führen.
Tanzen steht für das Leben
Trauern und Tanzen liegen so nah beieinander. Das Trauern gehört zu unserem Leben dazu, wie Essen und Trinken, Schlafen und Tanzen. Ich trauere und bin doch lebendig hier und genieße meinen Urlaub, das Faul-sein. Gerade gestern habe ich mit einem Einheimischen Sirtaki getanzt. Da kommt so viel Lebensfreude und Lebenslust auf.
Eine Frau, die um ihren Vater trauert, tanzt seit dessen Tod wöchentlich abends Salsa. So wie sie es mir erzählt, tanzt sie mit Leidenschaft, quicklebendig, nicht weil sie vergessen will sondern weil sie das Leben genießt und die südamerikanischen Rhythmen ihr im Blut liegen. Man trauert einerseits, andererseits aber lebt man sein Leben in allen bunten Facetten. So wie ich im Tanzen dem Leben nah komme, so komme ich auch in meiner Trauer dem Leben nah.
Die Trauer kommt in Wellen
Mitten im Leben reißt sie uns aus unseren Gedanken, weil eine Erinnerung aufblitzt, ein Foto auftaucht, ein bekannter Geruch in die Nase weht. Es wird nicht wirklich ein Ende der Trauer geben. Sie wird uns immer begleiten. Sie wird verstummen und still sein. Sie ist aber DA.
Der Trauer einen Platz einräumen
Weil das Trauern in unserer Gesellschaft nicht sehr anerkannt und beliebt ist, wird sie gern verleugnet oder ignoriert. Dabei ist es so wichtig, dass man sich Zeit nimmt. So wie wir uns Zeit nehmen für das Tanzen so braucht es Zeit für die Tränen.
Ich frage meine Bekannten und Freundinnen nach ihren Erfahrungen und ihrer Trauer. Jede und jeder trauert um jemanden. Um ein Elternteil. Ein Geschwister. Einen geliebten und geschätzten Freund. Manche sind schon seit Jahren tot. Andere erst kürzlich gestorben. Manche waren jung. Manche waren sehr alt.
Dass die Trauer und das Tanzen nah nebeneinander existieren können, ist für viele sicher ungewohnt. Wenn jemand tanzt, will er dann noch über seine Traurigkeit sprechen? Wir machen den Anschein, als wäre alles in Ordnung. Es ist auch Okay, aber ein Teil in uns trauert.
Deshalb braucht es Zeit und Platz zum Trauern. Man darf sich so viel Zeit nehmen wie man braucht. Die Trauer wird sich im Laufe der Zeit verändern. Aber sie will immer zum Ausdruck kommen. Wir tanze ich eigentlich meine Trauer? Wie drücke ich sie tanzend aus? Ich werde es ausprobieren.
Hier in der Hotelanlage gibt es eine kleine orthodoxe Kapelle von einem griechischen Künstler bunt bemalt. Dort gehe ich regelmäßig hin. Gleich wieder. Ich werde mich einige Minuten still hineinsetzen und nach einer Weile durch die offene Tür schauen.